Nächtlicher Schlepp vor Schilksee

Kurz nach Sonnenuntergang wussten wir noch nicht, dass wir in der Nacht noch ein Boot würden schleppen müssen.

Das jährliche Absegeln unter dem Motto “Segeln für Seebären” Ende Oktober hält immer wieder Überraschungen bereit. Dieses Mal war es ein defekter Motor – zum Glück auf einem anderen Boot. Für uns wurde es dennoch eine lange Nacht, wir mussten das Boot in den Hafen schleppen. 

Die Sonne war schon lange untergegangen. Trotz gutem Wind kamen wir nur langsam voran. Unser Boot mit dem Namen “Negan” kam einfach nicht von der Stelle – zu viel Bewuchs. Als wir um kurz nach 21 Uhr die Segel geborgen haben und Kurs auf Schilksee nehmen, kommt ein Anruf von Organisator Michael. Die Lepanto hat einen Motorschaden und benötigt Unterstützung. Da wir in ihrer Nähe sind, machen wir uns auf den Weg. Das Boot treibt mitten im Kieler Fahrwasser umher, möchte Schlepphilfe. 

Als wir in Sichtweite der Lepanto sind, fällt uns auf: Das Boot hat keine Segel gesetzt. Absicht oder gibt es Probleme? Da wir noch ausreichend Wind haben ist mein erster Rat pragmatisch: Setzt die Segel! Denn noch immer sind wir knappe vier Seemeilen von der Hafeneinfahrt nach Schilksee entfernt. 

Zu viel Strömung verhindert Segeln

Nach einigem Murren setzt die Crew widerwillig die Segel. Doch keine 20 Minuten später kommt der Anruf. “Wir kommen nicht vorwärts, die Strömung hier ist zu stark”, sagt Gerald, der Skipper der Lepanto. Er fordert Schlepphilfe. 

Da wir keine Schleppleine an Bord haben, ist das nicht “mal eben” machbar. Wir raten dazu, weiter zu segeln. Doch zum Glück ist noch ein anderes Boot unserer Flotte in der Nähe, die Scarlett. Zwar wesentlich kleiner, aber sie haben eine Schleppleine und können gut Fahrt machen. Wir einigen uns darauf, dass die Scarlett die Lepanto Richtung Hafen schleppt und wir dann kurz vor Schilksee längsseits gehen und das Boot in den Hafen bugsieren. Wir bleiben in der Nähe, um im Zweifel noch weiter unterstützen zu können. 

Kaum haben wir wieder Kurs Schilksee genommen, sehen wir Blaulicht am Horizont. Nach einigen Minuten realisieren wir, dass es die Wasserschutzpolizei ist. „Wollen die zu uns?“ Nur einen Moment später realisieren wir. Oh, die wollen wirklich zu uns. Aber wieso? Vorzuwerfen haben wir uns nichts. Mit dem Schallsignal “L” fordern sie uns zum Anhalten auf, was wir auch sofort machen. Wir hätten eine Ordnungswidrigkeit begangen, weil wir uns sehr lange im Fahrwasser aufgehalten und nicht auf Funk reagiert hätten, so der Vorwurf. Für uns sehr verwunderlich, hatten wir das Funkgerät im Dual-Watch doch permanent an Deck und in Hörwache. Aber zwischenzeitlich haben wir natürlich mit den anderen Booten gefunkt.

Wir erklären den Vorfall und schildern, dass wir lediglich im Fahrwasser waren, da dort ein anderes Boot manövrierunfähig trieb und wir für den Notfall in der Nähe bleiben wollten. Zudem konnten wir dank der App von NV-Charts nachweisen, dass wir uns keine 15 Minuten im Fahrwasser und auch nur an dessen Rand aufgehalten hatten. Nach einigem hin und her entschieden die Beamten: Sie lassen die Ordnungswidrigkeit fallen, wollen die anderen Boote aber auch noch kontrollieren und in der Nähe bleiben, bis alle drei Boote im Hafen sind.

Vorbereitungen fürs Schleppen

Wir können unseren Weg nach Schilksee also fortsetzen. Ich überlasse meiner Crew das Steuer und gehe unter Deck. Wir brauchen einen Plan, wie wir das andere Boot am besten längsseits nehmen und schleppen. Gemeinsam mit meinem Co-Skipper Knud zeichnen wir die Leinenverbindungen auf, besprechen alles mit dem Skipper der Lepanto. Währenddessen bewegt sich der Schleppverband aus Scarlett und Lepanto in Richtung Schilksee.

Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht. Wir sind durchgefroren und müde, wollen nur noch in den Hafen. Aber nun ist noch einmal volle Konzentration gefordert. Wir fendern uns gut ab, benötigen eine Vorspring, eine Achterspring, Vor- und Achterleine. Auf der Vorspring ist der meiste Zug. Es ist daher besonders wichtig, dass die Leine gut befestigt ist und möglichst wenig Spiel hat. Als wir so weit sind, verlangsamen alle Schiffe die Fahrt bis auf ein absolutes Minimum. Wir nähern uns der Lepanto von Backbord und stellen sofort die Leinenverbindung her. Es dauert etwas, bis alle Leinen ausreichend befestigt sind. Erst dann wird die Leinenverbindung zur Scarlett gelöst.

Mit Negan und Lepanto bilden wir nun eine kompakte Einheit. Ich habe mittlerweile ziemliches Muffensausen. Ich habe noch nie ein anderes Boot schleppen müssen. Und dann jetzt in einen unbekannten Hafen, bei Nacht und nach bereits 12 Stunden auf dem Wasser. Aber mir bleibt nichts anderes übrig. Also geht es los.

Der Skipper der Lepanto gibt mir Distanzen an, da ich so weit nicht sehen kann. Meine Crew weist mir den Weg zum Hafen und zum Steg. 

Wir schleppen die Lepanto nachts in den Hafen von Schilksee.

Mit so wenig Fahrt, dass wir noch eben Ruderwirkung haben, tasten wir uns in den Hafen von Schilksee ein. Dort haben die anderen “Seebären” einen Steg für uns freigehalten, stehen schon bereit, um die Leinen anzunehmen. 

Ich fahre einen klassischen Längsseits-Anleger. Nur sind wir mehr als doppelt so breit wie üblich. Mir werden die Entfernungen angesagt und da im Hafen kein Wind ist, ist der Anleger problemlos möglich. Als die Leinen übergeben sind, stoppen wir auf und kommen längsseits zum Steg zum Stehen. 

Wir haben es geschafft. Die Lepanto ist heil im Hafen, wir auch. Trotz der späten Stunde trinken meine Crew und ich noch ein Anlegebier im Cockpit. Die Crew der Lepanto sitzt ebenfalls im Cockpit. Ein Wort des Dankes hören wir leider nicht. Wir haben uns wohl unbeliebt gemacht, als wir vorschlugen, noch zu segeln… 

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