Der Weg zum Yachtmaster

Zwei Wochen Training in Solent zur Vorbereitung auf den Yachtmaster

Schon seit mehreren Jahren geisterte es mir durch den Kopf: Wie wäre es, die englischen Sportbootführerscheine zu machen? Diese Idee verfestigte sich immer mehr. Also zog ich im September los, um im Solent den “Yachtmaster Offshore” der Royal Yachting Association zu machen. 

Beim Yachtmaster Training im Solent begegnen uns auch Kreuzfahrtschiffe.
In der Precautionary-Area drehen die großen Schiffe auf der Stelle. Für uns heißt es: Abstand halten!

Warum es mich ausgerechnet in den Solent zieht? Ganz einfach: Wer hier segeln kann, der kann es auch in jedem anderen Revier der Welt. Innerhalb weniger Seemeilen trifft hier alles aufeinander, was sonst meist nur graue Theorie bleibt. Starke Strömungen, Kreuzfahrt- und Containerschiffe, die mitten im Revier auf dem Teller drehen, alle Arten von Betonnung – aber auch malerische Flüsse und Buchten mit spannenden Ansteuerungen, die etwas Ruhe von den vollen Marinas bieten. Kurzum: Der Solent ist ein Revier, das komplexer und herausfordernder nicht sein könnte. Also genau das Richtige für mich. 

SHS ist nicht gleich Yachtmaster

Mit dem deutschen Sporthochseeschifferschein (SHS) in der Tasche rechne ich damit, sehr gut klarzukommen und nur Probleme mit der Sprache zu haben. Doch schnell stellt sich heraus: Wer in Deutschland die höchsten Scheine hat, muss noch lange nicht das Zeug zum Yachtmaster – egal ob Coastal oder Offshore – haben. Die RYA verlangt deutlich mehr, als einfach ein Boot von A nach B zu bewegen. Neben der Fähigkeit, ein Boot zu fahren, muss ein Yachtmaster nicht nur das theoretische Wissen mitbringen, sondern auch Überblick und Kommunikationsstärke beweisen. 

Malerische Flüsse und schicke Marinas, der Solent bietet etwas für jeden Geschmack!

Volles Programm

So geht es also los für uns. Knapp zwei Wochen intensiver Trainings mit MCO Sailing liegen vor uns, bevor dann am Donnerstag der zweiten Woche der Prüfer an Bord kommt. Es steht viel auf dem Programm, denn der Prüfer kann uns alles abverlangen, was es an Bootshandling und Theorie so gibt. 

Bevor wir am Montagmorgen ablegen, starten wir zunächst mit einer kleinen Theorieeinheit. Denn hier in Hamble gibt es einiges zu beachten. In der Precautionary-Area südlich von Southampton drehen die großen Schiffe, die in den Solent einfahren. Für uns heißt das: Abstand halten und aufpassen. Darüber hinaus befassen wir uns nochmal mit den Grundlagen von Gezeiten und Tiden, denn das wird uns in den kommenden Tagen täglich begleiten. Und wer hierbei einen Fehler macht, kann schnell mal über mehrere Stunden auf einem Flach ausharren müssen. 

Segeln macht einfach Spaß!

Strömung von 4 Knoten

Starke Strömungen im Solent

Wir trainieren alles, was es zu können gilt. Dinge wie An- und Ablegen, Kurse zum Wind, Wenden und Halsen, Wenden auf engem Raum und Boje über Bord kennen wir alle schon aus vorherigen Kursen. Doch auch sie trainieren wir immer wieder, denn im Gezeitenrevier mit Strömungen von bis zu vier Knoten fühlt sich alles doch noch einmal wieder anders an. 

Blind Navigation

Neben Altbekanntem lernen wir auch viel Neues. Wie es sich anfühlt, ohne Plotter und Radar bei wenig Sicht zu navigieren, trainieren wir in der “Blind Navigation”. Unser Instructor gibt uns einen Punkt in der Seekarte vor. Diesen müssen wir finden.

Ohne Plotter, ohne jegliche Sicht. Nur mit Hilfe unserer Seekarte, der Logge, dem Tiefenmesser und unserem Kompass müssen wir zu unserem Punkt navigieren. Um den dicken Nebel zu simulieren, bleiben wir unter Deck, dürfen nicht nach draußen schauen. Eine große Herausforderung, denn wir müssen nicht nur die Stärke der Strömung, sondern auch die Höhe der Gezeit, Kompasskurse und Geschwindigkeiten berechnen. Dank navigatorischer Hilfen wie Bojen und Tiefenlinien geht das doch aber erstaunlich gut.

Aber Vorsicht: Wer sich bei den Strömungen und Höhen verrechnet, kann schnell den Überblick und damit seine Position verlieren. So passiert es mir. Ich habe mit zu wenig Strömung kalkuliert, komme überhaupt nicht an meinen Punkt. Wie gut, dass es mir im Training passiert. Hier kann ich es mit einem Lächeln und einem Witz abschütteln. Im Ernstfall wird mir dieser Fehler aber eher nicht mehr passieren. 

Passage Planning

Yachtmaster Training bei Nacht
Navigation bei Nacht

Bei guter Sicht aber müssen wir uns nicht der Tricks der Blind Navigation bedienen. Dann reicht es, wenn wir das ganz “normale” Passage-Planning betreiben, also eine Route von einem Ort zu einem anderen zu planen.

Der erste Blick gilt dabei der Seekarte: Wie ist die grundsätzliche Route, gibt es irgendwelche Gefahren? An welchen Punkten kann ich mich orientieren? Muss ich irgendwelche Flachstellen passieren, für die ich einen gewissen Wasserstand benötige? Wie sehen am geplanten Tag die Gezeiten aus – haben wir Spring- oder Nippzeit? Wie stark und wohin setzt die Strömung? Und nicht zu vergessen: Wie wird das Wetter sein? All das müssen wir in unserem Passage-Plan bedenken. Nicht selten kommen dazu Secondary-Port-Kalkulationen zum Einsatz. Im Reeds informieren wir uns über lokale Besonderheiten, VHF-Kanäle und Regularien, die es ggf. zu beachten gibt. 

Tracking – so zeichneten wir unser Circling bei Navionics auf.

Was ist Circling?

Während wir unterwegs sind, üben wir nicht nur solche Kalkulationen, sondern auch immer wieder die verschiedenen Manöver. Wenden, Halsen, Beidrehen, Boje über Bord. Aber auch etwas ganz Ungewöhnliches, von dem bislang niemand von uns etwas gehört hatte: Das Circling. Es ist eine Möglichkeit, viele kleine Kreise zu fahren. Damit bleiben wir nahezu an einer Stelle, werden nur durch die Strömung versetzt. Es ist also auch eine gute Möglichkeit, in der Nähe einer Person im Wasser zu bleiben. Und wie stellen wir das Ganze an?

Ganz einfach: Von einem Kurs am Wind mit dichten Segeln fahren wir in die Wende, schlagen das Ruder ganz ein. Anstatt es zurückzudrehen, bleibt es eingeschlagen und wir fixieren es. Die Segel bleiben unangetastet. Die Folge: Das Boot dreht sich immer weiter, die Genua steht back, dreht das Boot in die Halse, das Boot dreht weiter in die nächste Wende und wieder von vorne. Dank der dicht gestellten Segel macht die Halse dem Boot nichts aus, es dreht sich einfach immer weiter. Wir kreiseln nahezu auf der Stelle. Es ist ein super Manöver, das uns alle fasziniert. Immer wieder probieren wir es aus. Anschließend gehen wir vom Circling ins Beiliegen, bringen wieder etwas mehr Ruhe ins Schiff. 

Find a spot

Lichterführung bei Nacht kann verwirrend sein.

Eine weitere Übung, die wir unterwegs immer wieder einfließen lassen, heißt “Find a spot”. Wie bei der “Blind Nav” gibt Instructor Clemens uns einen Punkt auf der Karte vor, den wir mittels terrestrischer Navigation erreichen müssen. Angekommen kontrolliert er auf dem Plotter, ob wir den Punkt auch wirklich gefunden haben.

Auf dem Weg dorthin, nutzen wir Peilungen, Tiefenlinien und Transits – also Deckungspeilungen, um Kursänderungen und entsprechende Orte zu finden. Mittels Kreuzpeilungen und Peilung mit Tiefenlinie können wir dann unseren Ort verifizieren und sagen “ja, wir sind da”. Eine Übung, die viel Spaß macht und immer wieder von uns abverlangt nicht nur die Karte genau zu inspizieren, sondern auch das Peilen mit dem Handkompass immer wieder zu trainieren und auch mit möglichen Abweichungen umzugehen. Besonders bei Nacht wird diese Übung zur Herausforderung, da wir bei all den blinkenden Lichtern im Solent schnell einmal die Tonnen miteinander verwechseln können. 

Mein geliebter Pilotage Plan

Um nach einem Tag auf dem Wasser wieder sicher in den Hafen zu kommen, benötigen wir einen Pilotage Plan. Dabei stellen wir uns vor, wir seien das Navigationssystem, das die Person am Steuerrad heile in den Hafen navigieren muss. Egal ob bei Tag oder bei Nacht: Der Solent liefert uns jede Menge gute Hilfsmittel, die uns bei der Ansteuerung unterstützen. Transits, laterale und kardinale Betonnung, Richtfeuer und allerhand mehr. Anhand der Informationen aus der Seekarte und dem Reeds bereiten wir den Pilotage Plan vor.

Ein grober Pioltage-Plan aus dem Newton River.

Jeder hat seine eigene Art, die Pilotage zu machen. Ich zeichne eine Karte. Darin notiere ich alle wichtigen Informationen: Tonnen, Kurse über Grund, Punkte für die nächste Kursänderung, visuelle Richtmarken, besondere Regularien, VHF-Kanäle und alles, was für eine sichere Ansteuerung notwendig und sinnvoll ist. Bei Dunkelheit müssen wir darauf achten, welche Befeuerung mit welchen Rhythmen für uns von Bedeutung ist. 

Während wir in den Hafen steuern, stehe ich mit meinem Pilotage Plan die ganze Zeit neben der Person am Steuer. Wie das Navigationssystem im Auto dirigiere ich sie durch die Hafenansteuerung, erkläre, worauf sie zusteuern und wann sie den Kurs ändern soll. Wann immer wir eine Tonne oder andere wichtige Marke passieren, hake ich diese auf meiner selbst gezeichneten Karte ab. Der Vorteil. Sollten wir uns verirren, finden wir jederzeit den zuletzt bekannten Ort wieder. 

Jeder von uns übt all das mindestens ein Mal bei Tag und ein Mal bei Nacht. 

Ferry Gliding

Die navigatorischen Herausforderungen decken wir täglich mit Übungen ab. Jeder von uns berechnet immer wieder einen Course to Steer, macht einen Passage- oder Pilotage-Plan. So lernen wir den Solent immer besser kennen und haben schon bald die wichtigsten Hafeneinfahrten und Marken im Kopf. 

In der zweiten Woche wird es beim Bootshandling noch einmal spannend. Noch in der Marina lernen wir “Ferry Gliding” kennen. Mit dem Bug gegen den Strom machen wir kaum noch Fahrt, stellen den Bug leicht schräg zum Strom und lassen uns damit seitlich versetzen. Das hilft beim An- und Ablegen, wenn es eng wird und wir das Boot quasi auf der Stelle nach Backbord oder Steuerbord versetzen wollen. 

Ein Yachtmaster muss alles können

Darüber hinaus trainieren wir noch das An- und Ablegen am Steg unter Segeln, das An- und Ablegen an einer Mooring-Boje unter Motor und unter Segeln sowie das Lassoing. Das hilft uns dabei, sicher an einer Mooring-Boje festzumachen, wenn dort nichts zum Festmachen angebracht ist. Wir werfen eine lange Bucht über die Boje, überkreuzen die Enden der Leine zwei,drei Mal womit wir eine Schlaufe, ein Bridle, formen und fixieren sie auf den Vorschiffsklampen. Durch das Bridle garantieren wir, dass wir die Boje auch beim Gezeitenwechsel nicht verlieren. 

Ein Ausschnitt der morgendlichen Theorie-Session.

Neben all dem praktischen Wissen müssen wir aber auch fit in der Theorie sein. Immer wieder schieben wir morgens Theorie-Einheiten ein oder lassen uns unterwegs von Clemens mit Fragen löchern. Neben den üblichen “Rules of the Road” müssen wir die Beleuchtung von Fahrzeugen und das Betonnungssystem kennen. Tiefergehendes Wissen aus den Bereichen Technik und Wetter werden ebenso von uns abverlangt. Nahezu jede freie Minute nutzen wir, um zu lernen und zu üben, uns bestmöglich auf die Prüfung vorzubereiten. 

Nach insgesamt neun Tagen sind wir soweit: Ob es reicht? Das wird die Prüfung zeigen. Aber eines steht schon vorher fest: Wir haben extrem viel gelernt, das über das deutsche Führerscheinwesen hinausgeht und uns obendrein in den idyllischen wie herausfordernden Solent verliebt.  

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